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Friede, Freude, Frust? Ein Gespräch mit Anselm Grün

Das Buch "Friede, Freude, Frust?" in der Metallwerkstatt des Klosters Münsterschwarzach

Individualität vor allem – das Motto unserer Gesellschaft?

Nicht nur die Corona-Pandemie stellt dieses Denken in Frage. Der immer rauer werdende Umgangston, das deutlich spürbare Gefühl von Entfremdung und die zunehmenden menschenverachtenden Gewalttaten – im Netz, auf den Straßen, im direkten Miteinander zeigen, dass die Ellenbogen-raus-Mentalität einen hohen Tribut fordert. Doch ist eine Rückkehr zu einer Gemeinschaft, die zusammenhält und alle trägt, noch möglich? Eine Rückkehr zum „wir“? Anselm Grün nimmt sich in seinem neuen Buch „Friede, Freude, Frust?“ dieser Fragen an. Wir hatten die Gelegenheit, mit ihm über die Verbindung von Individualismus und Gemeinsinn zu sprechen.

Verlag: Pater Anselm, Sie sind mit 6 Geschwistern aufgewachsen, und leben zudem seit 56 Jahren als Mönch in einer Klostergemeinschaft. Würden Sie sich als Experte für gutes Zusammenleben bezeichnen?
Anselm Grün: Ich fühle mich nicht als Experte. Aber in den 75 Jahren meines Lebens habe ich immer mit anderen zusammen gelebt. Daher habe ich viel darüber gelernt, wie gutes Zusammenleben geht.

Verlag: Was war für Sie der konkrete Anlass, das Buch zu schreiben?
Anselm Grün: In vielen Einzelgesprächen, die ich bei meinen Kursen halte, habe ich gespürt, dass heute viele Menschen Probleme haben in ihrem Miteinander, im Miteinander in der Familie, in der Firma, in der Kirche. So wollte ich aus der benediktinischen Tradition heraus Hilfen anbieten, wie das Miteinander gelingen kann.

Verlag: Wo sehen Sie die Gefahren in unserer heutigen Gesellschaft, die ein gutes Zusammenleben erschweren oder unmöglich machen?
Anselm Grün: Da ist einmal der starke Individualismus, der ein Miteinander erschwert. Dann sind es zu hohe Erwartungen etwa an die Partnerschaft und auch die Angst, sich auf einen andern wirklich einzulassen. Denn wenn ich mich auf den andern einlasse, zeige ich ihm auch meine Wirklichkeit, so wie sie ist. Heute sind wir in Gefahr, uns immer besser darzustellen, als wir sind. Daher haben wir Angst, dass der andere meine Wahrheit wahrnimmt.

Nur wenn ich ganz ich selber bin, im Einklang mit mir selbst, kann ich mich auf andere einlassen.

Verlag: Individualismus und Gemeinsinn werden oft als unvereinbar betrachtet. Gibt es eine Möglichkeit, dass beides zusammen funktionieren kann?
Anselm Grün: Es gibt durchaus eine gesunde Spannung zwischen Individualismus und Gemeinsinn. Nur wenn ich ganz ich selber bin, im Einklang mit mir selbst, kann ich mich auf andere einlassen. Dann wird die Gemeinschaft ein Miteinander in Freiheit. Und ich werde mich auch für andere Menschen engagieren. Denn wenn ich mich spüre, spüre ich immer auch die Verbundenheit mit anderen Menschen.

Verlag: Sein-lassen ist dabei eine zentrale Idee in Ihrem Buch. Was bedeutet diese Haltung für unseren Umgang miteinander?
Anselm Grün: Wir sind heute in Gefahr, einander ständig ändern zu wollen. Doch je mehr wir den andern ändern wollen, desto mehr wird er sich verteidigen und rechtfertigen. Nur wenn wir ihn sein lassen, kann er in die Gestalt hineinwachsen, die seinem Wesen entspricht. Sein-lassen sollte aber immer verbunden sein mit der Hoffnung, dass der andere in Einklang kommt mit sich selbst.

Verlag: Kann man den Zustand einer idealen Gesellschaft, in der alle gut zusammenleben, überhaupt erreichen?
Anselm Grün: Eine ideale Gesellschaft wird es nie geben. Auch eine klösterliche Gemeinschaft ist nie eine ideale Gemeinschaft. Unsere Aufgabe ist es, uns immer wieder neu um ein gutes Miteinander zu bemühen. Indem wir bei diesem Bemühen immer wieder an Grenzen stoßen, werden wir letztlich auf Gott verwiesen, der uns all die Sehnsüchte erfüllt, die wir mit der Gemeinschaft verbinden: wie die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Liebe, Verständnis, Heimat.

Das Buch "Friede, Freude, Frust?" ist im Onlineshop des Klosters Münsterschwarzach erhältlich. 

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